"...Abschied und Vermächtnis"

William im Gespräch mit Chantal Nastasi (NDR Kultur) über seine Einspielung der gesamten Klaviersonaten von Franz Schubert

Gibt es in Ihren Augen etwas typisch „Schuberthaftes“?

William: "Schuberts Musik hat eine ganz besondere Art des musikalischen Flusses. Seine Melodien entfalten sich scheinbar endlos, oft gibt es keinen Beginn und kein Ende eine Melodie. Niemand geringerer als Robert Schumann, hat über diese Form der musikalischen Entwicklung als “himmlische Längen” gesprochen. Besonders von unserer kurzlebigen Zeit empfinde ich Schuberts Musik als etwas tröstendes und heilendes, was uns zur Ruhe bringt und immer aus einem Dialog mit uns selbst entspringt."

Was unterscheidet die frühen Schubert-Werke von den späteren?

William: "Zwischen dem Jahr 1819 und 1823 schrieb Schubert wenige Werke zu Ende. Immer wieder suchte er nach neuen Ausdrucksweisen. Es gibt unzählige unvollendete Werke auf diese Zeit. Nachdem er diese Krise überwunden hatte, begann eine Zeit große Schaffenskraft. Stilistisch orientiert Schubert zu Beginn seinen großen Vorbildern aus der Klassik, nach der Krisenzeit, habe ich das Gefühl, dass seine eigene Stimme klarer zum Vorschein kommt. Schuberts besondere Form der Harmonik, die Verbindung zwischen den Tönen, war etwas ganz Neues. Etwas was es noch nicht gegeben hatte. Oft ist sein Dur hell und zerbrechlich uns sein Moll dunkel und dramatisch."

Wie viele Alben sind geplant? Welche „Schätze“, wie viel Unbekanntes haben Sie entdeckt? Einiges, was Schubert geschrieben hat, ist unvollendet geblieben. Zeigt sich daran – Ihrer Meinung nach - ein impulsives Komponieren?

William: "Es werden drei Alben mit insgesamt 7 CDs. Die unvollendete Sonaten sind schätze, die ich für mich entdeckt habe. Das waren Puzzleteile, die mir halfen, Schuberts Musik und seine Menschlichkeit in der Gesamtheit besser zu erfassen. Alfred Brendel sagte, dass Schubert wie ein Schlafwandler komponierte, so kommt es mir auch vor. Ein Komponieren ohne eine klare Ende vor Augen zu haben. Die Musik entfaltet sich aus dem Moment heraus."

Die Sonate Nr. 9 ist ja eine Kombination mehrerer Einzelsätze. Was ist die Geschichte dahinter? Und woran mag es liegen, dass das Werk dennoch wie aus einem Guss klingt?

William: "Ob die Sonate Nr.9 tatsächlich als eine komplette Sonate konzipiert war, wissen wir nicht, aber die Tonarten und die Entstehungszeit der einzelne Sätze liegen nah beieinander. Es ist also eine sehr glaubhafte Theorie. Schubert hat den 1. Satz unvollendet gelassen und ich spiele eine Fassung mit meiner eigenen Ergänzung."

Schuberts Sonate D 157 in Es-Dur gilt als seine erste Klaviersonate. Was macht die Handschrift eines damals ja erst 18jährigen Schubert aus? Schubert war damals - 1815, als die Sonate D 157 entstand - bereits ein versierter Liedkomponist. Inwieweit hat das, also seine Erfahrung mit diesem Genre und die Rolle des Klaviers darin, Ihrer Meinung nach, diese Sonate und auch seine späteren Klavierwerke geprägt?

William: "Die erste E-Dur Sonate mit der letzten B-Dur Sonate gegenüber zu stellen auf einer CD fand ich sehr spannend. So bekommt der höre die Möglichkeit, die Wirkung der beiden zu vergleichen. Der erster Satz ist frisch, humorvoll und voller schwung, danach kommt ein zweiter Satz, der im Gegensatz dazu steht. Die Empfindsamkeit und Melancholie ahnt den berühmten langsamen Satz der letzten Sonate voraus. Schubert hatte bereits seine erste Sinfonie komponiert und die Auseinandersetzung mit der Symphonik Beethovens und den Klangfarben des Orchesters sind deutlich zu hören. In den intimeren Momenten komponiert er ähnlich wie im Lied, eine Melodie mit charakteristischer Begleitung, sowie ein Portrait erst durch Umgebung und Hintergrund zu seiner vollen Wirkung gelangt. Meine Meinung nach, ist diese Sonata unvollendet, es hätte ein 4. Rondo Satz in E Dur folgen sollen."

Die B-Dur Sonate aus Schuberts Todesjahr wird ja gerne sehr (bedeutungs)schwer und breit gespielt. Ihre Version klingt deutlich leichter, durch schnellere Tempi, aber auch durch einen transparenten Ton und eine sehr klare Linienführung. Wie stehen Sie zu diesem Werk? Wieso haben Sie es so angelegt und wie schwer wiegt die Bürde des Bekannten, der Vergleich mit anderen Interpretationen?

William: "Die Musik Besitz Reife und eine große Meisterschaft des Kompositions, deshalb sprechen wir ja oft von Schuberts Spätstil, dabei war er ja noch ein junger Mann von 31 Jahren. Diese Sonate hat eine solche Ausdrucksstärke und Visionäre Kraft, dass wir sie vielleicht als Interpret schnell mit zu viel Pathos interpretieren. Sicherlich war ihm bewusst, dass sein Leben bald enden würde, so ist diese Sonate gleichzeitig ein Abschied und ein Vermächtnis. Ein luzider Abschied, in dem der Schmerz einem Frieden weichen kann."

September 2020