Interview mit Dorothee Binding

Dorothee Binding ist Journalistin und freie Mitarbeiterin beim Bayerischen Rundfunk sowie Mitinhaberin der Nightfrog GmbH.

Was möchtest Du Deinem Publikum mit deiner Interpretation von Mozart mitgeben?

William: "Ich möchte einen Mozart spielen, der berührt und der gefühlt werden kann. Viele sagen ja, Mozart klingt immer gleich, aber das empfinde ich nicht so. Ich möchte zeigen, wie differenziert und spannend Mozart die verschiedensten Emotionen und die Farben von Menschen beschreiben kann - durch Musik."

Mozart emotional zu spielen, ist für viele Musiker ein absolutes Sakrileg. Perfekt muss er klingen, perlend, jeder Ton sollte genau kontrolliert sein und an der richtigen Stelle sitzen, oder?

William: "Genau so wurde ich unterrichtet. Dadurch habe ich meine Konzentration vor allem darauf gelenkt, makellos zu spielen. Denn die Musik ist so perfekt geschrieben, so durchsichtig und so genau, dass viele Musiker sich darauf konzentrieren, sie nicht zu zerstören. Wenn zum Beispiel ein Ton bei einem Lauf fehlt, merkt das jeder sofort. Dadurch ist die natürliche Spielweise heute verloren gegangen. Man kann das mit einem Diamantschmuck vergleichen, den man höchstens in einer Auslage bewundern, aber niemals tragen würde."

Bei Deiner Aufnahme hast du dann die Möglichkeit, alle heiklen Stellen zu wiederholen, so oft Du willst, und an der zu Musik feilen, bis sie wie ein Diamant strahlt.

William: "Ich mag keine Aufnahmen, bei denen sehr viel geschnitten wurde; ich möchte, dass die Zuhörer, wenn sie meine CD anhören, ein Konzerterlebnis haben. Deshalb werde ich mich vor der Aufnahme innerlich so vorbereiten, dass ich e mit dem Gefühl am Flügel sitzen werde, als ob ich gerade ein Konzert spiele. Wenn da ein paar Töne daneben gehen, lasse ich sie drin. Solange es den musikalischen Ablauf nicht stört, finde ich das völlig okay. Deshalb bin ich auch relativ schnell bei meinen Aufnahmen. Ich habe 3 Tage für die erste CD geplant, weil ich mich nicht hetzen möchte, aber normalerweise bin ich nach eineinhalb Tagen fertig."

Auf welchem Instrument wirst Du bei der Produktion im Bayerischen Rundfunk spielen?

William: "Auf einem Steinway. Ich habe aber in der letzten Zeit auch auf einem Hammerklavier geübt und ich spiele in diesem Jahr zwei Konzerte mit einem Mozart-Programm auf einem Hammerklavier. Das finde ich total spannend. Wenn ich auf dem Hammerflügel spiele, ist mein Gefühl für Zeit und Rubato viel freier."

Weil du auf dem Hammerklavier dynamisch schneller an Grenzen stößt?

William: "Genau. Aber man muss ja auch bedenken, dass Mozart diese Stücke für einen Raum geschrieben, der viel kleiner war als unsere Konzertsäle und dafür genügten diese Instrumente. Wenn es nur darum geht, dass Mozart klingen soll wie früher, hat die historische Aufführungspraxis keinen Sinn, finde ich. Deswegen gibt es auch viele Aufnahmen, die vielleicht dem Klang von früherer Zeit ähnlich sind, aber nicht lebendig klingen. Ich finde es sehr spannend, dass sich viele Musiker mit der alten Aufführungspraxis beschäftigen, aber ich denke, es ist wichtig, dass die Musik ihre Emotionalität nicht verliert, es darf keine Wissenschaft daraus werden."

Du wirst 5 CDs in 5 Jahren aufnehmen, gehst Du dabei chronologisch vor?

William: "Bei Beethoven würde ich das machen, denn bei ihm hört man sehr genau eine musikalische Entwicklung und Steigerung von seinen Frühwerken bis zu den späten Sonaten. Bei Mozart ist das nicht so extrem, ich finde, die Sonate Nr. 1 nicht unbedingt schlechter als die letzten. Die 4 Sonaten, die ich zuerst aufnehmen werde, sind sehr lyrische und sehr persönliche Sonaten. Die a-Moll Sonate hat Mozart kurz nach dem Tod seiner Mutter geschrieben. Es ist eine sehr eigenartige, besondere Musik. Im ersten Satz spielt die linke Hand im Bass einen perkussiven Rhythmus, man hört eine tiefe Verzweiflung in den Akkorden. Ich glaube, so etwas hat Mozart nicht noch einmal geschrieben, es klingt wie ein nervös hämmernder Herzschlag. Und dann kommen Läufe in der rechten Hand, unablässig, bis zum Ende. Im zweiten Satz erklingt eine Melodie, die von unten nach oben geht und dann wieder nach unten. Für mich klingt dieser Satz wie die Sehnsucht nach seiner Mutter oder nach dem Himmel. Er schaut nach oben. Für mich ist es die Reaktion auf den ersten Satz, der die letzten Momente kurz vor dem Tod beschreiben."

Du hast gesagt, dass Du vor ein paar Jahren auf einmal das Gefühl hattest, die Musik von Mozart zu verstehen, was war das für ein Moment?

William: "Ich hatte das Glück, mit einem Lehrer zu arbeiten, der als einer der größten asiatischen Mozart-Interpreten gilt, dem chinesischen Pianisten Fou Ts’ong. Ich kann mich noch an meinen ersten Unterricht bei ihm erinnern. Er hat gesagt, dass Mozarts Werke interpretiert und psychologisch analysiert werden müssen, dass man bei jeder Phrase genau wissen sollte, was er gemeint hat und sich nicht nur auf schöne und richtige Töne konzentrieren soll. Plötzlich habe ich verstanden, wie hochdramatisch und wie emotional seine Musik ist. Viele Musiker und Kritiker sind allerdings der Meinung, dass man Mozart als Kind und dann erst als wieder als reifer Künstler am besten spielt."

Du bist gerade 30 geworden, ist das für Dich ein guter Zeitpunkt, um die gesamten Klaviersonaten von Mozart aufzunehmen?

William: "Diese Aufnahme ist eine neue und große Herausforderung in meinem Leben, auf die ich mich sehr freue. Ich habe das Gefühl, für mich ist jetzt der beste Zeitpunkt. Meine Wunderkindzeit ist vorbei, stelle aber auch nicht mehr alles in Frage wie mit Anfang zwanzig. Ich kenne meine Stärken, genau wie meine Schwächen und ich habe mich so akzeptiert, wie ich bin.
Früher habe ich eigentlich eher gegen mich gearbeitet und immer nach den Dingen geschaut, die mir fehlen. Inzwischen aber hat das Gute, was ich in mir habe, mehr Bedeutung für mich, ich will ihm Raum geben, um noch weiter zu reifen.
Man sagt in Korea, dass ein großes Tongefäß länger dauert als ein kleines, bis es fertig ist. Ich lasse mir sehr viel Zeit für meine Entwicklung. Erst jetzt habe ich das Gefühl, dass ich langsam weiß, wie mein Gefäß aussehen soll."

Februar 2013